Diplomatenjagd by Daniel Koerfer
Autor:Daniel Koerfer
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Diplomaten, Jagd, AA, Auswärtiges Amt, Amt, Joschka, Fischer, Unabhängige, Kommission, Nazi, Nationalsozialismus, Vergangenheit, Drittes, Reich
ISBN: 9783943713206
Herausgeber: Strauss Medien
veröffentlicht: 2013-12-08T16:00:00+00:00
Wir wissen aus seinen Erinnerungen, aus seinen umfangreichen, von Leonidas E. Hill edierten Papieren und nicht zuletzt aus den voluminösen Akten und Protokollen des Wilhelmstraßenprozesses viel über ihn, viel mehr als über die allermeisten anderen Handlungsträger im Dritten Reich. Weizsäcker war kein glühender, überzeugter Nationalsozialist und doch schon bald verstrickt in die Machenschaften des NS-Regimes. Damit stellt sich die alte Frage nach den grundlegenden Mechanismen, nach Mentalität und Selbstrechtfertigung konservativer Beamter im NS-Staat auch in seinem Falle. Skizzieren wir also seine Karriere, eine deutsche Karriere, exemplarisch in ihren Brüchen und – ihrem Scheitern. Denn das steht am Ende, lange bevor es Verhaftung und Gefängnis nach außen hervortreten lassen.
Am Anfang deutete nichts auf das bittere Scheitern hin, im Gegenteil. Dem jungen Mann, der 1882 in Stuttgart geboren wurde, als Sohn des königlich-württembergischen Ministerpräsidenten und Außenministers aufwuchs, schien eine glänzende Zukunft offen zu stehen. Sie schien auf dem Wasser zu liegen. Denn dieser Schwabensohn fasste den keineswegs erstaunlichen Entschluss, zur kaiserlichen Marine zu gehen. Der Ehrgeiz dieses jungen Mannes – 1916 wurde der Vater, 1897 persönlich nobilitiert, in den erblichen Freiherrenstand erhoben – wurde durch die Modernität der gerade neu aufgebauten kaiserlichen Flotte geweckt, die den deutschen Großmachtanspruch nachdrücklich symbolisierte. Einsatzbereitschaft, ein klarer Blick für die Erfordernisse einer geschickten Karriereplanung und wohlwollende Vorgesetzte bringen ihn rasch auf immer einflussreichere Posten. Mit knapp 27 Jahren wird er Flaggleutnant bei Admiral von Holtzendorff, der soeben das Kommando über die deutsche Hochseeflotte übernommen hat. Im Herbst 1912 erfolgt seine Versetzung in die Reichshauptstadt, in das von Admiral Georg Alexander von Müller geleitete Marinekabinett. Hier sitzt er in der eigentlichen Schaltzentrale der Marineleitung, wo über Personalien, Stellenbesetzungen, Karrieren entschieden wird, knüpft weitere wertvolle Kontakte, erhält freilich auch tieferen Einblick in das Funktionieren des militärtechnischen wie militärpolitischen Apparats im Wilhelminischen Reich.71
Im Sommer 1914 rechnet Ernst von Weizsäcker lange nicht mit einem großen Krieg. Aber als es so weit ist, erfasst auch ihn die Welle der nationalen Begeisterung. Von der »schönen Zeit moralischer Regeneration«, von Hochachtung gegenüber den Briten, dem »ebenbürtigen Gegner«, und zugleich, nachdem der älteste Bruder in den Vogesen gefallen war, von der Hoffnung, sich gegenüber Frankreich »für künftige Generationen Ruhe zu verschaffen«, ist in seinen Briefen jetzt die Rede.72 Die Franzosen bleiben der »Erbfeind« für ihn, da gibt es eine Kontinuitätslinie bis 1939/40, doch ansonsten ist Weizsäcker kein nationalistischer Hitzkopf. Für die in den Kriegsjahren mehr oder minder offen diskutierten, umfassenden deutschen Kriegsziele und Annexionspläne kann er sich immer weniger erwärmen. Im Frühjahr 1915 hält er zwar eine dauerhafte Annexion Belgiens, wenn nicht für nötig, so doch noch für »angenehm«. Aber im Herbst 1918 wettert er dann »über diese Narren und Verbrecher von Alldeutschen«, die »uns an dem status-quo-ante-Frieden so oft gehindert haben«.73 Da ist er bereits bei der neu gebildeten Seekriegsleitung der dritten OHL unter Generalstabschef Paul von Hindenburg und Generalquartiermeister Erich Ludendorff, dort, wo sich das militärische, aber auch das politische Schicksal des Kaiserreichs in der Endphase des Krieges entschied und die erste deutsche Militärdiktatur zusammen mit den Monarchien rasant dem chaotischen Untergang entgegen schreitet.
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